Warum Wachstum nicht immer gut ist – Beispiele und Erklärungen anhand der Exponentialfunktion

Unser Alltag ist geprägt von Wachstumszahlen. Wir werden gerade zu damit bombardiert und zwar immer mit dem Hintergedanken, dass viel Wachstum gut ist. Aber stimmt das wirklich? Ist Wachstum wirklich was Gutes? Bei unserem derzeitigen Konsum und dem Umgang mit den natürlichen Ressourcen sollte uns allen klar sein, dass zu viel Wachstum uns irgendwann zum Verhängnis wird. Uns sind diese Gedanken zwar bewusst, aber wir spüren sie nicht in unserem eigenen Land. Wir schauen lieber nach China mit Bewunderung und Furcht zur gleichen Zeit. Auf der einen Seite wünschen wir uns ein Wachstum wie die Chinesen; auf der anderen Seite ist uns klar, dass dabei die Ressourcen dieser Welt erschöpft werden und das Umweltverschmutzung zu einem großen Problem wird. Das hier angeführte Beispiel China, ist dabei maßgebend für alle aufstrebenden Länder der BRIC Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) aber auch die anderen Tiger Staaten legen seit Jahren gehörige Wachstumszahlen vor. Währenddessen machen wir uns Sorgen, wenn unser Wachstum stagniert oder wir mit lediglich 0,5% – 1,5% wachsen. Sobald wir wieder mehr Wachstum vermelden können – und hier sind die Frühindikatoren wie der IFO oder andere Managererwartungen maßgebend – sind wir wieder beruhigt und können aufatmen. Aber warum ist das so? Was bedeutet Wachstum wirklich?

Die meisten Leute scheinen sich die Frage nicht zu stellen, denn es wird sehr schnell klar, dass zu viel Wachstum nichts Gutes bedeutet. Im folgenden wollen wir das erklären, mit Hilfe der Exponentialfunktion . Diese mathematische Herangehenweise verdeutlicht sehr schnell, dass Wachstum uns zum Verhängnis werden kann. Auch wer nicht viel Ahnung von Arithmetik hat wird das schnell verstehen. Leider verstehen viele Politiker und Wirtschaftslenker diese Funktion nicht oder ignorieren sie um weiter an Ihren Planzahlen zu arbeiten um so den Wert von Aktien oder dem Lebensstandard in der Kommune bzw. im Land zu erreichen. Diese Einstellung muss sich ändern und wir müssen lernen die Exponentialfunktion zu verstehen und uns daran zu orientieren, wenn wir über Wachstum sprechen.

Was ist nun also die Exponentialfunktion ?In der Mathematik benutzen wir die Exponentialfunktion um etwas zu beschreiben, dass stetig wächst. Nehmen wir als Beispiel ein Wachstum von 5% pro Jahr. Entscheidend ist hier bei, dass wir von einer Situation ausgehen, bei der sowohl Zeit als auch Wachstum konstant sind. Wir erwarten also ein Wachstum von 5% in einem Jahr. Im Jahr 2 gehen wir ebenfalls von einem Wachstum von 5% aus. Sowohl das Jahr (365 Tage) als auch die 5% sind fixe Faktoren in unser Gleichung.

Nun stellt sich die folgende Frage, die nur noch sehr selten in der Presse debattiert wird: Wenn es eine fixe Zeit dauert, um 5% zu wachsen, wie lange dauert es dann um 100% zu wachsen? Anders ausgedrückt: Wann verdoppelt sich mein Wachstum? Im englischen heisst diese Zeit „doubling time“ und die wird folgendermassen berechnet:

T2 = 70 / (% Wachstum per Einheit).

In unserem Beispiel von 5% haben wir also: T2 = 70/5 = 14 Jahre. Das bedeutet also, dass wir unser Output bei einem Wachstum von 5% pro Jahr innerhalb von 14 Jahren verdoppeln. Bevor wir nun mit der Analyse anfangen, möchte ich noch ganz kurz die 70 erklären. Die 70 ist das ungefähre Resultat aus 100lm2 = 69,3. Hier bei steht lm2 für den Logarithmus von 2.
Wenn wir unser Wachstum verdreifachen wollen, würden wir also den Logarithmus von 3 nehmen. Um dies voll auszuführen, woher das kommt, würde ich hier zu sehr ins Detail gehen müssen. Es ist allerdings auch gar nicht weiter wichtig. Viel wichtiger ist es sich die 70 zu merken. Denn mit der oben aufgeführten Gleichung kann nun Jeder verstehen, was in der Zeitung wirklich steht, wenn dort mal wieder behauptet wird, dass wir ein Wirtschaftswachstum von 3% haben, oder das wir eine Inflation von 2% haben. Wenn wir nun also das nächste Mal in der Zeitung lesen, dass China oder irgendein anderer Staat einen stetigen Wachstum von 7% hat, dann wissen wir ganz genau, dass sich innerhalb von 10 Jahren die wirtschaftliche Leistung von China verdoppeln wird.

Doch was bedeutet das genau?
Bevölkerungswachstum:
Nehmen wir einmal den weltweiten Bevölkerungswachstum von ca. 1%. T2 = 70/1. Das bedeutet, dass sich die Bevölkerung in den nächsten 70 Jahren verdoppeln wird von derzeit ca. 7 Milliarden auf 14 Milliarden im Jahr 2080. Im Jahr 2150 hätten wir 28 Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Sollte diese Wachstumsrate beibehalten werden, dann werden wir in ca 1000 Jahren auf jedem Quadratmeter von Land auf der Erde einen Menschen haben. Zu weit weg? Das kriegen wir gar nicht mehr mit? Wir vielleicht nicht, aber unsere Kinder und Enkelkinder werden ein Bevölkerungswachstum von 0% mitbekommen. Wie sich das genau regeln wird ist natürlich noch unklar. Klar ist nur, dass wir nicht stetig wachsen können. Auch nicht mit nur 1%.

Inflation:
Die Inflationsrate soll in den nächsten Jahren wieder kräftig steigen. Gerade in den USA ist die Inflation ein kalkulierter Weg um den Schuldenberg abzubauen. Doch auch in Europa ist eine Inflation von 3% pro Jahr noch im Bereich des Ertragbaren. Auch hier die Frage: Was bedeutet das für unser Leben? Nehmen wir an, dass wir heute noch 50 Jahre vor uns haben. Die Exponentialfunktion (T2 = 70/3) sagt uns, dass wir eine Verdoppelungszeit von 23,3 Jahren haben. Wenn wir heute also in einem Miethaus wohnen, dass €1,000 pro Monat kostet, dann wird das in 23 Jahren €2,000 pro Monat kosten und in 46 Jahren werden wir €4,000 pro Monat dafür bezahlen müssen. Das Ticket in der U-Bahn, dass heute €2.00 kostet, wird in nicht einmal 50 Jahren €6.00 kosten. Das Mittelstandsauto, was heute €35,000 kostet wird in 46 Jahren €140,000 kosten. Wer täglich mit der Bahn fährt wird vielleicht bereits ordentlich zu schlucken haben, wenn er schon bald das 3-fache für sein Ticket bezahlen muss. Wer heute in einer Mietwohnung lebt oder für ein Auto spart, der wird sich vielleicht auch fragen wo das noch hingehen soll? Aber das sind eingeplanten Preiserhöhungen und die Zahlen sprechen für sich – Zahlen, die die Regierung uns vorlegt.

Bakterien:
Nehmen wir einmal an, dass wir ein Bakterium in einer Flasche haben. Das Bakterium verdoppelt sich in jeder Minute durch eine Zellteilung. Um 11:00 Uhr ist nur ein Bakterium in der Flasche. Um 12:00 Uhr ist die Flasche voll. Wann denken die Bakterien das erste Mal, dass der Lebensraum knapp sein könnte? Um 11:54 Uhr sind 63/64 noch leer – 1,6% der Flasche sind also nur voll. Um 11:55 ist die Flasche zu 3,1% voll. Um 11:56 Uhr ist die Flasche zu 6,3% voll. In anderen Worten 15/16 der Flasche sind noch leer. 11:57 Uhr ist die Flasche gerade einmal zu 12,5% voll. Um 11:58 Uhr ist die Flasche noch zu 75% leer. Um 11:59 ist die Flasche erst zu 50% voll. Um von 1,6% Flaschenfülle auf 100% zu kommen, dauert es gerade einmal 6 Minuten. Nach diesen 6 Minuten – ab 11:54 Uhr – ist kein Platz mehr in der Flasche vorhanden.
Aber die Bakterien waren doch noch schlau genug und haben einen weiteren Lebensraum gefunden. Sie haben noch 3 weitere Flaschen gefunden, die sie besiedeln können. 3 weitere Flaschen, so dachten alle ist doch super. Wir haben 3 weitere Lebensräume, die jeweils genauso groß sind wie unser derzeitiger Lebensraum. Doch um 12:01 Uhr ist die erste neue Flasche voll. Um 12:02 Uhr sind dann auch die letzten beiden Flaschen voll.

Lasst uns das übertragen auf unseren Energieverbrauch durch fossile Brennstoffe. Uns wird ständig erzählt, dass wir noch genügend Reserven hätten. Doch in der industriellen Revolution von 1880 bis 1970 hatten wir einen stetig wachsenden Verbrauch von Öl. Der Wachstum und Ölverbrauch lag bei 7% pro Jahr. Das heisst, dass wir unseren Bedarf an Öl binnen 10 Jahren verdoppelt haben. Die Experten haben uns dann immer erzählt, dass wir noch über genügend Ölreserven verfügen, die unser Wachstum unterstützen können. In den 80ern gab es dann die erste größere Ölkrise und die OPEC hat die Produktion drastisch zurück gefahren. Seither liegt der Wachstum von Ölverbrauch nicht mehr bei 7% pro Jahr, sonder etwas da drunter. Da wir fast 100 Jahre 7% Wachstum hatten, können wir heute schauen und fragen: Was wäre wenn?‘ Wie lange hätten wir dann noch so weiter machen können? Und wie spät wäre es in dem Beispiel von der Flasche und den Bakterien? Nun 1981 wurden 35,1 Billionen Barrel Öl gefördert. Der Gesamtverbrauch lag bei 559 Billion Barrel. Die Menge, die noch übrig war lag bei 1540 Billionen Barrel. Wir haben also einen Gesamtverbrauch, der 1/3 von der gesamten Menge beträgt. Wo steht die Uhr? 2 Minuten von 12:00 Uhr – 11:58 Uhr.
1991 (bei einem Wachstum von 7%) hätten wir 69,1 Billionen Barrel gefördert und der Gesamtverbrauch läge bei 1078 Billionen Barrel. Die Menge, die noch übrig wäre, beträge 1022 Billionen Barrel. Die Uhrzeit? 11:59 Uhr.
Im Jahr 2001 hätten wir kein Öl mehr gehabt. Das ist aber noch nicht passiert. Die OPEC hat die Preise angehoben und weniger Öl gefördert. Wir haben noch neue Ölreserven gefunden und wir haben alternative Energien weiterentwickelt.
Wird das reichen? Bei einem Wachstum von 7% müssten wir zwischen 2001 und 2011 noch einmal so viel Öl finden wie in allen Jahren zuvor. In unserem Beispiel, wäre das die erste zusätzliche Flasche voll. Ab 2011 müssten wir 2 weitere Flaschen finden um das Wachstum von 7% bei zu behalten, und bis 2022 Öl zu haben. Dann haben wir aber bereits 3x soviel Öl zusätzlich gefunden, wie in den 100 Jahren davor gefunden wurde. Ist das wahrscheinlich, dass da unten noch so grosse Ölreserven schlummern? Die Zahlen, was die Ölreserven angehen stammen von der US Regierung, aber es geht auch nicht um ein paar Billionen Barrel mehr oder weniger. Wir haben hier eine ‚was wäre wenn‘ Situation skizziert, die auf Zahlen basieren, die fast 100 Jahre defakto unseren Ölkonsum bis in die 80er beschrieben. Da war es 2 Minuten vor dem Ende. Seither hat sich einiges getan, wir haben den Ölverbrauch leicht zurück geschraubt und wir haben neue Quellen gefunden – sowohl was Energiequellen angeht, als auch was Ölquellen angeht. Aber auch bei dem heutigen Wachstum an Ölverbauch, ist es nur eine Frage der Zeit bis es zu Ende gehen wird. Es war bereits 2 Minuten vor 12:00 Uhr und der Ölverbrauch ist noch immer steigend.

Man kann nun noch viele weitere Beispiele finden, da wir fast täglich mit Wachstumszahlen überflutet werden. Die meisten Leute verstehen diese Zahlen nicht, da sie die Exponentialfunktion nicht verstehen. Jeder der sich einmal mit den Zahlen beschäftigt hat, sollte zu der Erkenntnis kommen, dass stetiges Wachstum nicht gut für uns ist. Wenn wir also das nächste Mal mit den Gewinnprognosen, den Aktienkursen, dem Wirtschaftswachstum oder anderen Wachstumszahlen bombardiert werden, dann sollten wir uns fragen, was das genau bedeutet und welchen Einfluss das überhaupt hat. Zu viel Wachstum ist nicht gut und die Gesellschaft muss damit klar kommen, wenn wir in die nächste Rezession gehen. Das ist nicht unbedingt was Schlechtes. Wir haben eine fixe Menge an natürlichen Ressourcen auf dieser Erde und bei unserem momentanen Umgang damit und unserem Streben nach stetigem Wachstum ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir nicht mehr wachsen können weil die Ressourcen verbraucht sein werden. Es ist 1 Minute vor 12:00 Uhr. Zeit aufzuwachen!

Für weitere Informationen und als Quelle für die Zahlen und Beispiele kann ich nur Jedem das folgende Video empfehlen – englische Sprache.
http://www.youtube.com/watch?v=F-QA2rkpBSY&feature=relmfu

Happy Start!

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